Initiation und Visionssuche
Initiatorische Naturerfahrungen für unsere Menschwerdung neu entdeckt!
Der Autor, Michael Josef Egarter, begründete das FEUERSALAMANDER-Institut in St. Pölten. www.feuersalamander.at
Wer in die Literatur über die nordamerikanischen Naturvölker und andere archaische Völker schon einmal hineingeschnuppert hat, der hat höchstwahrscheinlich schon das eine oder andere von Visionssuche und/oder Initiation mitbekommen.
Auch in der Bibel wird von mehreren Propheten und auch von Jesus Christus erzählt, dass sie über längere Zeit in der Wüste (Wildnis) waren und gereift, sowie mit großen Einsichten und Erkenntnissen zurück kamen. Offensichtlich war es in alten wie neuen Zeiten ganz selbstverständlich zu bestimmten Zeiten des Lebens (Übergang ins Erwachsenenalter, Krisen & Sinnsuche,...) alleine in die Wildnis zu ziehen, um sich seinen Innenwelten zuzuwenden und dadurch Sinn und Bedeutung für sein Leben zu finden, bzw. Gott (und wie er sonst noch in den verschiedenen Kulturen genannt wird) zu begegnen.
Die Rede ist von einer ganz bestimmten Art in die Natur zu gehen, wie es für die Menschen der Naturvölker selbstverständlich war, besonders aber bei den, bei Initiationen vollzogenen
„Visionssuchen“, gepflegt wurde.
Unserer westlichen Kultur ist dieses Wissen beinahe vollständig abhanden gekommen – doch zum Glück entdecken immer mehr Menschen diese Lücke unseres kollektiven Gedächtnisses und füllen sie auf, bzw. reaktivieren es mit Hilfe des Wissens noch lebender Urkulturen. Denn diese Fähigkeit hat trotz aller Zivilisation tief in uns überlebt, und muss nur freigelegt und ge-wert-schätzt werden, sowie Raum erhalten um wieder zu voller Blüte zu gelangen!
Was aber ist „Initiation“, und was ist eine „Visionssuche“?
Kurz gesagt sind mit „Initiation“ im engeren Sinne die verschiedenen aufwendigen Riten gemeint, mit welchen Urvölker ihre Jugendlichen in den Stand des Erwachsenen einführten. Dieser Brauch ist in den verschiedensten Regionen der der Erde, in allen archaischen Kulturen zu finden. Erstaunlich ist, dass alle indigenen Völker ihre jungen Männer initiierten. Bei Mädchen wurden meist Fruchtbarkeits-Riten vollzogen.
Im Rahmen der von den Stammesältesten durchgeführten Initiation wurde den jungen Menschen „Lebenswerkzeug“ vermittelt, sie wurden mit ihrer Schattenseite und mit ihrer Sterblichkeit konfrontiert, sie lernten ihre Wunde kennen und wie man sie zu einer heiligen Wunde verwandeln, also fruchtbar machen kann. Sie wurden von den Eltern, und hier insbesondere von der Mutter, bewusst losgelöst, nicht selten durch dramatische Rituale. Anschließend wurden sie am Ende in die größere Gemeinschaft des Stammes eingebunden. Es wurde ihnen die gesamte Stammesmythologie vermittelt sowie ein „Plan“ des Universums, seine Entstehung, sein Aufbau, usw., es wurde die Frage nach dem „Wer bin ich?“, „Woher komme ich?“, „Wohin gehe ich?“, „Wofür ist mein Leben gut?“ und „Was hat das Leiden für eine Bedeutung?“ beantwortet. (Fragen und Themen denen jeder Mensch irgendwann in seinem Leben – nicht selten auch öfter, wenn sie nicht zur Genüge beantwortet werden konnten – begegnet. Es handelt sich hier nicht zufällig exakt um den Stoff aus dem die in unserer Gesellschaft weitverbreiteten Sinnkrisen gemacht sind!)
Als erwachsene Menschen mit allen Rechten und Pflichten wurden die Zwölf- bis Vierzehnjährigen nach dem Initiationsprozeß wieder in die Stammesgemeinschaft aufgenommen. - Oft mit einem neuen Namen, jedenfalls aber ausgestattet mit allem Wissen und vor allem der notwendigen persönlichen Reife, die man braucht um eine tragende Säule der Gemeinschaft zu sein. Man legte also sehr viel Wert und Gewicht darauf, die Heranwachsenden auf ihrem Weg der Reifung, des Erwachsenwerdens und der sozialen Einbettung zu begleiten und zu unterstützen.
Im Fehlen dieser Einweihungsriten in unserer Kultur entdeckt man immer mehr den Grund für viele Probleme mit denen sich unsere Gesellschaft, nicht nur im Zusammenhang mit Jugendlichen, konfrontiert sieht.
„Visionssuche“: Eines der Werkzeuge der Initiatoren war es die Initianden alleine in die Wildnis zu schicken. Viele der existentiellen Fragen und Themen wurden in dieser Zeit der Einsamkeit und Stille auf seelischer Ebene bearbeitet und gelöst. Indem sie sich in der Natur, ihren Geschöpfen und Erscheinungen wiederfanden erkannten sie sich selbst. Sie bewegten sich während dieser Tage, Wochen oder sogar Monate in der „Anderswelt“, wo alles Bedeutung hat, nichts zufällig passiert.
Tiefgründig verändert und gereift, und vor allem mit einer Vision für ihr Leben kamen sie zurück. Sie gingen „voll ausgestattet“ in ihr Leben als Erwachsener, während wir heute ein Leben lang verzweifelt damit beschäftigt sind diese „Ausstattung“ irgendwoher zusammenzukratzen...
...Doch es ist Land in Sicht: Anbieter von Visionssuchen sind mittlerweile bis in den deutschen Sprachraum vorgedrungen und es gibt Möglichkeiten diese neue/alte Art in die Natur zu gehen wieder zu erlernen. In verschiedenen Übungen lernt man seine Wahrnehmungen für w-a-h-r zu nehmen, und der Kooperation der Geschöpfe zu vertrauen. Denn es ist für unser „zivilisiertes Bewusstsein“ nicht leicht zu akzeptieren, dass das was mir in der Natur begegnet mit meiner individuellen Persönlichkeit zu tun hat, ja eine aktive Reaktion meines Umfeldes auf mich, und daher nicht zufällig da ist. Die Bilder, die einem begegnen, erzeugen eine Resonanz in der Seele, und sie wirken fort in einem Prozess der nicht auf intellektueller Ebene, sondern eben auf Seelenebene abläuft und heilt.
Diese Art sich in der Natur zu bewegen unterscheidet sich völlig von erlebnispädagogischer Arbeit oder esoterischen Techniken. Hier geht es um das Sich-selbst-Erkennen im Spiegel der Natur.
Ein Zweites ist traditionell noch von entscheidender Bedeutung. Der Spiegel der Ältesten: Wenn der Initiand von seiner Visionssuche zurückkehrt, so erzählt er die Geschichte seiner Reise in der Anderswelt den Ältesten, die sie nach aufmerksamem Anhören spiegeln, d.h. sie als wahr und wichtig bestätigen, ihr große Bedeutung für sein persönliches Leben, aber auch für die ganze Gemeinschaft zumessen, die Bedeutung der erlebten Ereignisse unterstreichen bzw. durch ihre eigene Erfahrung erklären, und ihn insgesamt bestärken. Denn der (junge) Mensch braucht die Wertschätzung und Bestätigung der Ältesten als Vertretung der Gemeinschaft, damit seine Erkenntnisse und Erfahrungen umfassende Gültigkeit für ihn erlangen, und sie sich tief in seiner Seele ankern. Auch bei unserer neuentdeckten Arbeit mit Naturerfahrungen wird das „Spiegeln“ nach bestimmten Regeln als zentrale Technik und wichtiger Teil der Arbeit eingesetzt.
Wiederum scheint in unserer Kultur ein „Urbedürfnis“ unbefriedigt zu bleiben: Immer wieder erlebe ich, dass auch die „coolsten“ Jugendlichen völlig überrascht und begeistert reagieren, wenn Ihnen ältere Menschen wertschätzend und bestätigend begegnen. Scheinbar ist das selten der Fall...
Weiters entdecke ich immer mehr Menschen (auch Senioren) die eine tiefe Sehnsucht nach einem Meister oder Mentor, der genau diese Funktion erfüllt, in sich tragen.
Die offensichtliche Tatsache, dass unabgedeckte „initiatorische“ Bedürfnisse so lange erhalten bleiben, bis sie gestillt werden, macht diese Arbeit gerade auch für Erwachsene sinn-ig und wertvoll.
Nicht zuletzt ist es auch sehr effizient, diese Art sich in der Natur zu bewegen als „Technik“ um am Weg zu bleiben, also für Persönlichkeitsentwicklung und spirituelle Ganzwerdung ein Leben lang zu praktizieren!
Insgesamt ist die Arbeit mit initiatorischen Naturerfahrungen bei Jugendlichen und Erwachsenen so erfolgreich und heilsam, dass nur zu hoffen bleibt, dass sie immer mehr Raum in unserer Gesellschaft finden wird, und so zum entscheidenden Faktor für große gesellschaftliche Veränderungen wird. Es wird viel Zeit brauchen, doch der Anfang ist getan!