Initiation & Kirche - Warum Männer rituelle Räume des Übergangs (Initiation) brauchen - P. Richard Rohr OFM/ USA
„Ein junger Mann, der nicht weinen kann, ist ein Rohling, ein Barbar. Ein alter Mann, der nicht weinen kann, ist ein Narr."
Übersetzt von Michael Josef Egarter, überarbeitet von Barbara Heigl, 2005
Der ausschlaggebende Grund, der mich dazu veranlasste, Übergangsräume oder auch „Schwellenräume“ zu schaffen, und Initiation insgesamt zu studieren, waren meine Beobachtungen über den (geistigen) Zustand - sowohl der geistlichen als auch der weltlichen Männer in unserer Gesellschaft.
Wir befinden uns tatsächlich in keiner guten Verfassung. Es fällt uns schwer, Spiritualität auf natürliche Weise zu verstehen. Ja, im Grunde bin ich davon überzeugt, dass Männer von Natur aus im Widerstand gegenüber der essentiellen Sprache von Intimität, Hingabe, Geduld und Vertrauen sind. Männer bevorzugen Rollen anstatt Veränderung, sie putzen sich lieber heraus anstatt sich zu entblößen.
Wenn es dem Mann nur irgendwie möglich ist, wird er Spiritualität und Religion in ein „zur-Rechten-und-zur-Linken-Jesu-sitzen“ verkehren. (braucht man dafür noch Beweise?). Um mit dem Lied von Roger und Hammerstein zu sprechen: „Männer müssen gelehrt werden, Männer müssen sehr sorgfältig gelehrt werden.“ Deshalb hielten fast alle alten Kulturen für das Überleben ihres Stammes Initiation für absolut unerlässlich. Die Initiationsbotschaft von Jesus an seine Schüler lautet: Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder die Taufe auf euch nehmen, mit der ich getauft werde? (Mk 10:37-39). Und es ist Petrus, der erste Papst, der diese Botschaft bekämpft und Jesus zwingt, ihn als Satan zu bezeichnen (Mt 16:22-23). Dass Petrus die einzige Person ist, die von Jesus als Teufel bezeichnet wird, übersehen die meisten Papophilen (Papstgetreuen).
Wir haben nicht nur entsprechende Rituale für Initiation verloren, wir fördern und stärken auch noch exakt das Gegenteil. Wir anti-initiieren - sogar in der Kirche! So kann man sich zum Priester oder sogar Bischof weihen lassen, ohne geringste Bereitschaft zum Abstieg (Dienerschaft) zu zeigen, sondern geleitet von Aufstiegs- und Macht-Bestrebungen. Man nennt dies „Arbeitssicherheit“ und „Status“. Sogar Kardinal Ratzinger und das römische Bischofsamt haben eingestanden, dass Karrierismus ein großes Problem im Episkopat darstellt. Wenn dies öffentlich zugegeben wird, kann man sich vorstellen, wie schlimm das Problem tatsächlich ist. Männer müssen gelehrt werden, „die Tränen der Dinge“ zu erleben, bevor man ihnen Machtpositionen anvertrauen kann. Andernfalls werden sie die Macht missbrauchen.
Initiation ist stets eine bewusste Reise in die Machtlosigkeit, damit der Mann die Macht hinkünftig richtig zu gebrauchen weiß.
Junge (katholische) Männer können durch das gesamte (katholische) Schulsystem gehen – eingeschlossen Jesuitenseminare und Universitäten – ohne jemals vermittelt zu bekommen, dass es im Leben nicht um Job, Rollen, Sicherheit, Karriere, Status oder allgemein um „Aufstieg“ geht. Man kann nur hoffen, dass eine gute Jesuiten-Predigt ihnen das wahre Evangelium manchmal näher bringt, aber die gesamte Struktur und Erwartung deutet auf das genaue Gegenteil hin. Es geht um Leistung und Wettbewerb, darum, die Kontrolle zu wahren. Wie will man erklären, dass ein junger Mann auf diese Weise vorbereitet werden soll, die Bergpredigt oder das Mysterium des Gekreuzigten zu verstehen? Es ist buchstäblich un-glaublich für ihn. Er wird naheliegender Weise die Kirche, die Sakramente, geistliche Rollen und auch Gnade dazu benutzen, selbst vorwärts zu kommen.
Der Anteil an männlichen Besuchern in der katholischen Kirche in den USA hält bei 28% - der niedrigste Anteil, der laut einer jüngeren amerikanischen Studie jemals verzeichnet wurde. In vielen Ländern, die ich besucht habe, ist dieser Prozentsatz noch weit geringer.
Dieses Muster des „Aufstiegs“, wie ich es nenne (siehe in „Der wilde Mann“), ist derart im Männlichen verankert, dass die Kulturen immer wussten, wie wichtig es ist, dem Mann rechtzeitig das bedeutende und notwendige Wissen um den „Abstieg“ zu lehren. Dies wurde richtigerweise als Initiation bezeichnet. Es war zu spät, ihm davon zu erzählen, nachdem er bereits 20 Jahre in Aufstieg, Leistung und Selbstdarstellung investiert hatte. In der Initiation erfährst du, dass du deinen Turm bauen musst, das ist richtig, aber es besteht kein Zweifel, dass du von diesem Turm herabsteigen wirst müssen. Und je höher du ihn baust, umso mehr Niederlagen und Erniedrigungen wirst du dazu durchleben müssen. Die Griechen nannten es den „Fall des Ikarus“. Wir Christen hören es von Jesus, der zu Petrus sagt: „Als du noch jung warst, hast du dich selbst gegürtet ..., wenn du aber alt geworden bist, wirst du deine Hände ausstrecken und ein anderer wird dich gürten...“ (J 21:18).
Es gibt seit jeher zwei Aufgaben im Leben des Mannes. Die erste, die des Aufstiegs, lehren wir leicht und verständlich, aber nur wenige lehren die zweite, den unumgänglichen Abstieg, das trifft besonders auch auf die Kirche zu. Möglicherweise liegt es daran, dass die Männer (in der Kirche) nicht initiiert wurden und den „Abstieg“ selbst nicht vollzogen haben. Sie gürten sich bis heute noch immer selbst. Meiner Ansicht nach brauchen wir dringend wirkliche „Ältere“. Wenn sie dieses Stadium erreichen, können sie sich nicht mehr in Florida zur Ruhe setzen.
Jene, die früh initiiert werden, wie mein geistlicher Vater, der heilige Franziskus, kümmern sich gar nicht um diesen verrückten Turm. Sie bleiben in Bodennähe, wo die Dinge rein und ehrlich sind, einfach und menschlich. Dies ist, wie sie sich wahrscheinlich denken können, die denkbar schärfste Kritik an unserer Kultur!
Ist es nicht interessant, dass, für das Überleben einer Kultur, genau diese Botschaft als absolut notwendig erachtet wurde? Sie vermittelt ein hilfreiches Paradigma für das Verständnis der Tiefe, Dringlichkeit und Gefährlichkeit unseres heutigen Problems. Überall bauen wir Türme von Babel „mit einer Spitze bis zum Himmel und machen uns damit einen Namen“ (Gen. 11:4). Das nenne ich eine klare Prophezeiung.
Ungeachtet dieser Problematik erliegen die meisten jungen Frauen heute derselben Täuschung und halten sie auch noch für Befreiung, was diese Dynamik gesamtgesellschaftlich noch zusätzlich verschärft. Ich befürchte, die neue Generation von Frauen, von der jede das Recht hat, ihren eigenen Turm zu bauen, wird dieselbe klassische Initiation brauchen, und auch sie werden ihre eigene Rückkehr auf den untersten Punkt des Glücksrades erleiden müssen. Persephone, aus der griechischen Mythologie, musste auch, zumindest einen Teil des Jahres, in der Dunkelheit, „unter der Erde“, verbringen.
Bis jetzt bin ich in meinen Studien nicht auf einen einzigen Initiationsritus gestoßen, in welchem es nicht um Leid, Tod und Auferstehung geht. Mag sein, dass sich die Worte, Symbole und Rituale (je nach kulturellem Umfeld) unterscheiden. Die Kernaussage ist aber immer die gleiche: „Lebe, als würdest Du sterben!“, und „Du wirst sterben, mit Sicherheit!“
Wir Katholiken nennen es das „Ostermysterium“. Es ist das Thema jeder Eucharistie und Inhalt und Bedeutung der Fastenzeit. Es ist das Geheimnis des Glaubens: „Christus ist gestorben, Christus ist auferstanden, Christus wird wiederkommen“ (Anm. d. Übersetzer: In der deutschensprachigen Liturgie: „Deinen Tod, o Herr, verkünden wir, und Deine Auferstehung preisen wir, bis Du kommst in Herrlichkeit.“) Und doch scheint die überwiegende Mehrheit der Katholiken überhaupt nicht daran zu glauben! Es ist zu einem liturgischen Ausruf erstarrt, aber nur selten eine Sichtweise, eine Lebensweise, ein Versprechen, eine Garantie, die große und wahre Darstellung der Wirklichkeit, die uns befreit.
Wenn du die Wirklichkeit so ehrlich und wahrheitsgetreu wie sie im Ostermysterium beschrieben wird, begriffen hast, bist Du im Grunde unverletzlich. Du wunderst Dich nicht über Niederlagen und Leiden, du verschwendest keine Zeit mit gerichtlichen Klagen wegen Unrecht, das man dir zugefügt hat. Du „lässt dich nicht zum Zorn reizen“ (1 Kor 3:5). Vielmehr bist du in der Lage, wie der Hl. Ignatius, „Gott in allen Dingen zu erkennen“, insbesondere in der Erniedrigung, in der Enttäuschung, in der Zurückweisung, im Verrat, in der Trennung und im Tod. In Wirklichkeit erkennst du, wie auch alle Heiligen, dass du „stark bist, wenn du schwach bist“ (2 Kor 12.10). Danach, und nur danach, kannst du „Halleluja“ rufen. Nicht die Freude am Leiden selbst, sondern die neue Nähe und Vertrautheit mit Gott, die durch dieses Leiden erlebbar wurde, ist der Punkt. Nicht Freude an der Schwäche, sondern an dem erstaunlichen Selbst, als welches du dich wiedererkennst. Es ist die Freude an der Auferstehung, die
Freude an der Transformation.
Wenn nun die Kirche selbst aufhört, dies zu glauben – ihr eigenes Evangelium – lehrt der Geist es sehr bald an anderer Stelle. Heute sind es Männer in Anonyme(n) Alkoholiker-Gruppen, Frauen in Krebshilfegruppen und früh verwaiste Kinder, die diese Botschaft meist mehr glauben, als viele Geistliche. Es ist immer noch zu einfach, für uns Priester, sie zu einer bloßen liturgischen Floskel mit passender Orgelbegleitung verkommen zu lassen: „Verkünden wir das Geheimnis des Glaubens“. Und dann sind wir verärgert, wenn der Chor nicht in der richtigen Tonlage antwortet. Man darf annehmen, dass Gott seine große Botschaft nicht von deren korrekter Verkündigung abhängig gemacht, sondern diese in unserem menschlichen Fleisch, unserer menschlichen Erfahrung der Reise unseres Lebensselbst versteckt hat. Es gibt kein Entkommen, und keiner privilegierten Gruppe offenbart sich die Botschaft vor einer anderen. Alles was wir tun müssen, ist, auf unser Leben zu hören und daraus zu lernen. Wir alle haben ein Leben und einen Körper. Damit ist das Spielfeld vorgegeben. Ich habe mit der Zeit gelernt, darauf zu vertrauen, dass ich das bekomme, was ich brauche, um die notwendigen Lektionen zu lernen.
Insbesondere Männer scheinen aber eine Einladung in sog. „Schwellenräume“ zu brauchen. Wenn es im ersten Brief an Timotheus heißt, die Frau „wird aber dadurch gerettet werden, dass sie Kinder zur Welt bringt“ (Ti 2:15), neigen wir dazu, dieser Botschaft zu misstrauen und sie abzulehnen. Aber sie könnte weiser sein, als wir denken. Fast alle Kulturen empfanden keinen besonderen Bedarf an Frauen-Initiation. Nur die Fruchtbarkeit brauchte Segen und Bestätigung. Sobald eine Frau die Erfahrung eines völlig neuen Lebens, das ihrem Körper entspringt, gemacht hat, erkennt sie das Große und Wesentliche. Sie erkennt etwas von der unmittelbaren Verbindung zwischen Leiden und neuem Leben. Sie weiß, dass dies durch sie geschieht, und dennoch im Grunde „trotz ihr“. Sie weiß etwas von dem Geheimnis, dem Wunder, der Dunkelheit, dem Warten, das ein Mann einfach nicht weiß. Im Idealfall hat die Frau ein Verständnis für Transformation und daher einen ganz grundlegenden Vorsprung im Verständnis von Spiritualität. Sie „weiß“ (sofern sie zuhört), während der Mann „gelehrt werden muss, sehr sorgfältig gelehrt werden muss“.
Seit 6 Jahren leite ich Seminare mit Übergangsritualen für Männer auf der Ghost Ranch in New Mexico und in Europa, und die Männer sagen mir immer wieder, dass ich gegen den Strom schwimme.
Bis heute haben etwa 1600 englischsprachige und 450 deutschsprachige Männer diese Übergangsrituale durchgemacht. Vor zwei Jahren habe ich begonnen, diese initiierten Männer auszubilden, um selbst andere darin anzuleiten. Die wesentliche Botschaft dabei ist festgelegt. Wir initiieren zum Großteil keine Buben, sondern erwachsene Männer, da wir es als Buben selbst nie erlebt haben. Da die Sakramente der Initiation weitgehend aus dem männlichen, psychischen Raum heraus „verpriestert und verschönert“ wurden, haben heute nur kirchlich „angehauchte“ Männer einen Zugang dazu. Und das ist ein sehr geringer Prozentsatz.
Es ist die Un-Struktur, die als „Übergangsraum“ bezeichnet wird, welche so mancher Kirchenstruktur erst ihren Sinn gibt. Aber sie zeigt auch die nur relative Bedeutung, die diese Struktur hat.
Dabei offenbart sich unsere erstaunliche Fähigkeit, das Wesentliche zu verfehlen.
Wie alle Übergangsrituale - und „Heiligen Räume“ - stärkt und fördert die Männerinitiation die absolute Mitte, genannt „Gott“, und relativiert dadurch natürlich alles andere völlig. Daher ist es vielleicht kein Wunder, dass die Kirche selbst gerne darauf vergisst.